Dienstag, 17. April 2012
Kurzgeschichte: Raven
Raven
Sie hatte sich immer dafür geschämt, dass jemand so wichtig für sie werden konnte, dass ihre gesamte Gefühlswelt von ihm abhing. Er war alles für sie. Ohne ihn - ihren geliebten, warmherzigen Menschen - war sie nichts.

Regen fiel zu Boden. Kam aus den grausten Wolken, absolvierte auf seinem Weg zur Erde einen ewig scheinenden Flug und zersprang schließlich auf eben dieser, wie eine Tasse die herunter fiel. Er wollte gehen. Wollte sie – ohne ihn nicht fähig zu existieren – einfach zurücklassen. Sein Kleidung war bereits vom kalten Wasser des Regens durchtränkt als er ihre Hand losließ und sich abwandte. Sollte es wirklich so enden? Wieso jetzt? Wieso heute? Verzweifelt streckte sie ihre Hand nach seinem Hemd aus, schrie innerlich seinen Namen, erreichte ihn jedoch nicht. Ein paar Schritte. Ihre Füße in eine kalte Pfütze getaucht. Tränen auf ihrem Gesicht, leise Worte sehnsüchtiger Liebe auf ihren Lippen. Er ging weiter. Ohne umzudrehen, ohne sie an letztes Mal anzusehen. Sie hielt inne. Vorbei. Aus und vorbei. Er würde gehen, egal was sie tat. Ihre Existenzgrundlage: weg. Heiße Tränen rannen über die vom Regen eisig kalten Wangen. Die Ampel schaltete auf grün – Schreie des Entsetzens drangen zu ihr durch. Sie wandte den Kopf, sah das Auto auf sich zu rasen – sah die panischen Augen des Fahrers.

Blut durchtränkte den weißen Stoff ihrer Bluse und tauchte ihn in ein herrlich leuchtendes Rot. Sie sah den Himmel: grau und dunkel. Regen auf ihrer Haut, Asphalt an ihrem Rücken. Die entsetzten Schreie wurden leiser, verstummten schließlich völlig. Die Zeit schien still zu stehen. Ein Rabe flog zu ihr herab, wandelte seine Gestalt, war nun ein Mensch. Schwarze Haare, schwarze Augen, schwarze Kleider. Ein starker Kontrast zum Rot das ihren Körper zierte. Sie sah ihn an. Sah das Grinsen auf seinem Gesicht, die kalte Gier in seinen Augen.
„Bist du ein Engel?“

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